13. August 1945
Problem-Memorandum des Landespräsidenten Rudolf Paul mit Lösungsvorschlägen
Weimar, den 13. August 1945
Entlassungswelle
Im Lande Thüringen werden im Augenblick durch den Eingriff örtlicher Kommandanten, welche die Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte zwingen, Entlassungen vorgenommen, welche weit über die Richtlinien hinausgehen, die von der thüringischen Regierung seinerzeit der Sowjet-Militär-Administration zur Genehmigung vorgelegt worden sind.
Reinigungs-Gesetz v. 23.7.1945 mit Ausführungs- u. Durchführungsbestimmungn (Dok. 17).
Beim Hinweis der deutschen Verwaltungsbeamten auf die Richtlinien der thüringischen Landesverwaltung erklären die Ortskommandanten, daß sie sich darum nicht kümmern.
Durch die Entlassungen – gefordert wird, daß jedes Mitglied der Nazipartei, zum Teil sogar, daß jeder Angehörige einer Familie, in der ein Nazimitglied ist, zu entlassen ist – wird die Verwaltung des Landes gestört und der Verwaltungsapparat in Kürze zum Stehen gebracht. In Thüringen sind 94 % und mehr aller Beamten Mitglied der Nazipartei gewesen.
Vorschlag:
Die Sowjet-Militär-Administration weist die Ortskommandanten an, daß sie Reinigungen des thüringischen Verwaltungsapparates, welche über die Verordnung der thüringischen Landesverwaltung hinausgehen, nicht vorzunehmen haben.
Verhaftungswelle
Bei den Verhaftungen zeigt es sich, daß die russische politische Polizei offensichtlich von zweifelhaften deutschen Elementen mißbraucht wird. Dabei besteht bei einigen Verhaftungen möglicherweise sogar die Gefahr, daß die eigentlichen Treiber Nazisten sind. So ist beispielsweise in Gera der Syndikus der Handelskammer Ostthüringen Settekorn, eine der anerkanntestes Persönlichkeiten im ostthüringischer Handel und Industrie, in der letzten Nacht verhaftet worden, obwohl er niemals Mitglied der Partei war. Material gegen ihn sollten gesammelt haben ein Dr. Losin und ein Dr. Lenz. Dr. Losin war Führer der Studentenschaft Ost mit höherem SS-Rang und Mitglied der Nazipartei. Dr. Lenz war älteres Mitglied der Partei.
Aus Altenburg wird gemeldet, daß im dortigen Braunkohlengebiet das Verlangen gestellt wird, einen Dr. soundso (sein Name wurde bei der telefonischen Durchgabe nicht klar verstanden) in das Braunkohlensyndikat Halle-Leipzig einzureihen. Erhebungen des Polizeipräsidenten in Gera haben ergeben, daß der vorgeschlagene Doktor stärkerer Naziaktivist gewesen ist.
In Gera ist der Ökonomierat Vogel, 73 Jahre alt, ohne erkennbaren Grund verhaftet worden. Vogel war niemals Mitglied der Nazipartei. Er galt auch niemals als Militarist. Auf die Vorstellungen des Präsidenten des Landes Thüringen, warum die Verhaftung erfolgt sei, ist bisher jeglicher Bescheid ausgeblieben.
Vorschlag:
Da die sowjetische politische Polizei offensichtlich von zweifelhaften Elementen, zum Teil sogar nazistischer Herkunft mißbraucht wird, ist es geboten, alle deutschen Anzeigeerstatter zur Anzeigeerstattung an die deutsche Polizei zu verweisen, wobei diese ihrerseits die Pflicht hat, das Angezeigte weiterzuleiten und dabei zur Person des Anzeigeerstatters konkrete Tatsachen anzuführen.
Bankenschließung
Nach vorliegenden Informationen hat die amerikanische Militärregierung in Bayern, das an das südliche Thüringen angrenzt, keine Bankenreformen im Sinne der von Berlin aus befohlenen durchgeführt.
Dasselbe gilt auch bezüglich der amerikanischen Besatzungszone im Westen Thüringens.
Die an Nordthüringen angrenzende englische Besatzungszone soll gleichfalls sich der Berliner Regelung bisher nicht angeschlossen haben.
In der Provinz Sachsen, die Thüringen nördlich und nordöstlich einrahmt, ergibt der Erlaß des Oberbürgermeisters von Magdeburg vom 27. Juli 1945 eine völlig anders geartete Regelung als die für Thüringen vorgesehene. Nach dieser Regelung sind
Reichsbankhauptstelle
Stadtsparkasse mit sämtlichen Zweigstellen sowie
das Postscheckamt Magdeburg
weiter offen zu halten.
Im Lande Sachsen, insbesondere in Dresden, sollen nach hier eingelaufenen Informationen die Banken nahezu wie früher weiterarbeiten.
Bei Richtigkeit der vorstehenden Informationen würde sich demnach das Bild ergeben, daß Thüringen restlos von Gebieten umschlossen ist, welche die für Thüringen vorgesehene Regelung nicht getroffen haben. Die Folge davon ist, daß in den umgrenzenden Ländern unbeschränkte Geldmittel zur Verfügung stehen, während in Thüringen sie nur in außerordentlich begrenztem und, wie von mir stets hervorgehoben, völlig ungenügendem Maße greifbar sind. Die Folge muß auf die Dauer gesehen sein, daß Thüringen ausverkauft wird zugunsten der Thüringen umgrenzenden Länder und Provinzen. Dabei ist zu erwähnen, daß Thüringen bisher im sowjetisch besetzten Raum insofern eine Sonderstellung ein nahm, als es bezüglich der Ordnung im Staat, in der der Verwaltung, des Anlaufens der Industrie, der Eisenbahn und zahlreicher anderer Punkte eine Sonderstellung zu seinen Gunsten eingenommen hat. Das wird sich in kurzer Zeit ins Gegenteil verkehren.
Vorschlag:
Ich wiederhole die Vordringlichkeit einer Reise von mir nach Berlin und die Erwirkung eines Empfanges meiner Person nebst Mitarbeitern an maßgeblicher Stelle der Sowjet-Militär-Administration für Deutschland.
Bisherige Auswirkungen der Bankensperre in Thüringen
Nach den Mitteilungen des Direktors der Thür. Landesbank ist der Verkehr, gemessen [an] früher, nahezu tot. Während vor der Bankverfügung die Einzahlungen der Sparguthaben die Abhebungen überstiegen, ist heute genau das Gegenteil der Fall.
Nach den Mitteilungen des Oberbürgermeisters von Erfurt verkaufen die Bauern – ähnliches ist auch aus anderen Teilen Thüringens zu hören – ihre Produkte jetzt nur noch gegen Bargeld. Die Molkereien selbst sollen die erforderlichen Bargelder nicht haben. Dadurch tritt eine zusätzliche Verknappung am Lebensmittelmarkt ein. Obwohl in dem Befehl der Sowjet-Militär-Administration bezw. in der Anordnung der thüringischen Landesverwaltung genau vorgeschrieben war, welche Banken zu eröffnen sind, und welche geschlossen zu bleiben haben, haben sich die örtlichen Kommandanten der Roten Armee, in einigen Städten überhaupt nicht darum gekümmert. So ist beispielsweise in der Stadt Gera, obwohl dort die Landesbank für Thüringen über ein außerordentlich repräsentatives Gebäude verfügt, auf Grund der Anordnung eines Majors des dortigen Stadtkommandanten nicht diese Bank eröffnet worden, sondern die Allgemeine Deutsche Kreditanstalt in Gera, in der bekanntlich viele Nazis beschäftigt waren.
Der stellvertretende Direktor der Landesbank Thüringen meldet fernmündlich, daß in anderen Orten von örtlichen Kommandanten andere Direktoren eingesetzt werden oder eingesetzt werden sollen.
Derartige Eingriffe gefährden die an sich schon gegebene Hochspannung in der Wirtschaft noch zusätzlich.
Vorschlag:
Die örtlichen Kommandanten sind anzuweisen, sich jeder Eingriffe bezüglich der Ein- und Absetzung der Bankleiter und der Bankbeamten wie auch in der Auswahl der Bankanstalten zu enthalten.
Beschlagnahme des staatlichen Vermögens
Nach Mitteilung des Landesdirektors des Landesamts für Finanzen ist das gesamte Vermögen des Landes Thüringen, das sich auf den Banken befand, in Höhe von rund 32 866 000 RM beschlagnahmt. An Barkasse ist im Landesamt für Finanzen ein Betrag von 2 000 RM vorhanden. Der Direktor der Landesfinanzen erklärt für die nächsten Tage den Zusammenbruch des Etats des Landes, da die Beamten weder an ihre früheren Gehälter herankommen noch ihnen aus dem völlig ungenügenden Bestand von 2 000 RM die Gehälter gezahlt werden können. Dabei bemerke ich persönlich, daß ich bisher noch keine Reichsmark für meine Tätigkeit als Präsident des Landes erhalten habe und auch unter den gegebenen Umständen nicht erhalten kann, wobei das Los, das ich trage, von den übrigen Vizepräsidenten und Landesdirektoren wie überhaupt von der gesamten Beamtenschaft getragen wird. Ein derartiger Zustand ist untragbar.
Vorschlag:
Es müssen mit sofortiger Wirkung, was mir bei den mündlichen Verhandlungen zugesagt worden war, sämtliche Bankkonten freigeben werden, die nach dem 6. Mai 1945
So in der Vorlage; gemeint ist wohl der 8. Mai 1945.
eröffnet worden sind.
Lazarettwesen
In verschiedenen Stätten Thüringens zeigt sich das Bild, daß seitens der Roten Armee die Räumung von Krankenhäusern und Lazaretten verlangt wird. Es ist selbstverständlich, daß einem solchen Verlangen überall da entsprochen und die Begründetheit für dieses Verlangen restlos anerkannt wird, wenn solche Krankenhäuser oder Lazarette von der Roten Armee in den betreffenden Städten benötigt werden.
Dagegen erscheint es als untragbare Härte, daß aus verschiedenen Städten gemeldet wird, daß Beschlagnahme von Krankenhäusern und Lazaretten durchgeführt wird, wobei diese dann so gut wie nicht oder überhaupt nicht von der Roten Armee belegt werden. So ist beispielsweise das Ausweichlazarett von Nordhausen – Nordhausen ist die durch Bomben am meisten geschädigte Stadt Thüringens und befindet sich in außerordentlicher Raumnot – seitens der Roten Armee seit einigen Wochen beschlagnahmt worden. Nach Mitteilung des Landesdirektors für das Gesundheitswesen, Herrn Dr. Drechsler, wurde es bis heute nicht belegt. In Gera wurden eine Anzahl Lazarette und Krankhäuser beschlagnahmt, die nicht oder nur sehr ungenügend belegt sein sollen.
Aus Erfurt kommt die Meldung, daß dort von der Roten Armee belegt sind Haus I und IV des Städtischen Krankenhauses, sowie das gesamte besonders neu und hervorragend eingerichtete Heereslazarett.
Das Orthopädische Institut der Stadt Erfurt ist durch Bombentreffer zerstört. Erfurt selbst soll zur Unterbringung von deutschen Verwundeten verwendet werden. Unterm gestrigen hat der Ortskommandant von Erfurt angeordnet, daß das katholische Krankenhaus – es soll nach der mir gewordenen Information das letzte der Stadt sein – gleichfalls noch zu räumen sei.
Vorschlag:
Lazarette und Krankenhäuser sind nur soweit von der Roten Armee zu beschlagnahmen, als sie von dieser tatsächlich gebraucht werden. Von unnötigen Härten durch übermäßige Beschlagnahme bitte ich durch entsprechende Anweisung an die Ortskommandanten Abstand nehmen zu lassen. Da sie in der Regel schwerkranke und zum Teil frischoperierte Menschen trifft.
Fernsprechverkehr
Im Fernsprechverkehr werden willkürlich Maßnahmen örtlicher Kommandanten gemeldet. So sind beispielsweise die Städte Kahla, Lobenstein, Arnstadt, Tambach-Dietharz, Friedrichroda, Vacha, Ruhla und Wernshausen vom Fernsprechverkehr abgeschaltet worden. In Camburg und Dornburg sind alle Sprechstellenapparate abzubauen.
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Quelle: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Land Thüringen - Büro des Ministerpräsidenten , Nr. 459, Bl. 59r-63r (ms. Ausfertigung).