25. September 1945
Schreiben Arno Barths an den Präsidenten der Deutschen Justizverwaltung Eugen Schiffer über die Gründe der Verlegung des OLG nach Gera
Der Präsident des Landes Thüringen
Weimar, den 25. September 1945
Präsidialkanzlei
Abtl. Landesjustizverwaltung
An den
Herrn Chef der Deutschen Zentralen Justizverwaltung
für das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland
B e r l i n - NW 7.
Betr.: Verlegung des Oberlandesgerichts für Thüringen von Jena nach Gera.
Das Oberlandesgericht für Thüringen ist von Jena nach Gera aus folgenden Gründen verlegt worden:
Vor allem 1947 betrieben die RWF der Jenaer Universität, der Jenaer Oberbürgermeister und die LDP-Landtagsfraktion – wenn auch vergeblich – die Rückverlegung des OLG nach Jena – vgl. auch Kerth: Das Schicksal (1994/F).
In Jena ist die Innenstadt am stärksten von allen thüringischen Städten zerstört worden.
Jena war die nach Nordhausen am stärksten zerstörte Stadt Thüringens; deshalb wurden 1945 die Oberbürgermeister beider Städte als Regierungsbeauftragte für den Wiederaufbau eingesetzt.
Für den, der Jena kennt, genügt der Hinweis, daß man jetzt von Holzmarkt bis zur früheren Universitäts-Bibliothek durchsehen kann. Jena ist stärker als andere Städte mit sowjetischen Truppen und vor allem sowjetischen Dienststellen belegt. Das Gebäude des Oberlandesgerichts ist immer wieder erneut beschlagnahmt worden. Es mußte jetzt für Zwecke der Universität vorgesehen werden.
Um die Nutzung des Jenaer OLG-Gebäudes entspann sich 1946 ein heftiger Konflikt zwischen OLG und Jenaer Universität, in den auch Landesverwaltung und SMATh hineingezogen wurden (LATh-HStA Weimar, LTh-BMP, Nr. 1877).
Die Jenaer Universität soll laut sowjetischer Anordnung die größte Universität der sowjetischen Besatzungszone werden.
Die Behauptung ist aus der Luft gegriffen; allerdings wurde die Jenaer Universität am 15.10.1945 als erste der SBZ wiedereröffnet (Dok. 58 a-k).
Zwar ist augenblicklich das frühere Oberlandesgerichtsgebäude gerade wieder von örtlichen Besatzungstruppen in Anspruch genommen worden. Es wird und muß aber auf die Dauer gesehen für Universitätszwecke nutzbar gemacht werden. Sicher wird eine Anordnung der oberen sowjetischen Dienststelle erreicht werden, daß das Gebäude für Universitätszwecke wieder geräumt wird. Nach Jena sind u.a. die physikalisch-technische Reichsanstalt und die biologische Reichsanstalt verlegt worden. Die beiden großen Stiftungsbetriebe der Carl Zeiss-Stiftung: die Fa. Carl Zeiss und das Jenaer Glaswerk Schott & Gen. werden nicht abtransportiert, sondern bleiben in Jena und haben auf Jahre hinaus russische Aufträge mit der Auflage, den Umsatz zu verdreifachen.
Im Oktober 1945 wurde erstmals die Demontage der Jenaer Stiftungsbetriebe vorgesehen, aber infolge konträrer Positionen zurückgestellt; die Demontage-Entscheidung erfolgte im Juli 1946; die weitgehende Demontage der Betriebe Ende 1946 – vgl. auch Uhl: Das Ministerium (2002/F).
Der in Jena zur Verfügung stehende Raum mußte deshalb entlastet werden und konnte auch angesichts aller dieser Umstände ohne Schädigung Jenas freigemacht werden.
Gera, die größte Stadt des ehemaligen politischen Thüringens, ist heute nach der Eingliederung des preußischen Thüringens die zweitgrößte Stadt. Trotzdem hatte es bisher keine größere staatliche Behörde in seinen Mauern. Diese Benachteiligung ist durch die Verlegung des Oberlandesgerichts beseitigt worden. Das bisherige Landgerichtsgebäude in Gera konnte ohne jede Schwierigkeit freigemacht werden, da Amtsgericht und Landgericht im bisherigen geräumigen Amtsgerichtsgebäude untergebracht werden konnten. Die Geraer Maschinenindustrie, die die Hauptträgerin des wirtschaftlichen Lebens der Stadt war, wird systematisch von der sowjetischen Besatzungsmacht abtransportiert; bis jetzt sind 5 große Maschinenfabriken davon betroffen, darunter die größte (Wesselmann-Bohrer) mit 1500 Mann Belegschaft. Der Stadt Gera mußte dafür ein Ersatz geschaffen werden. Die Unterbringungsmöglichkeiten für die zuziehenden Beamten sind günstiger als in den meisten anderen thüringischen Städten.
Das Oberlandesgericht selbst ist dadurch, daß seine vorzügliche und wertvolle Bücherei von 80.000 Bänden vollständig erhalten und jetzt in Gera im Gebäude des Oberlandesgerichts untergebracht ist, in wissenschaftlicher Hinsicht völlig unabhängig von der Jenaer Universität und ganz auf eigene Füße gestellt. Die Verbindung zur Universitätdurch bisher 3, künftig 2 akademische Räte wird beibehalten. Die beiden Professoren können mit der Bahn Gera bequem erreichen. Von den Richtern und Staatsanwälten des Oberlandesgerichts konnte nicht ein einziger übernommen werden, weil sie sämtlich Mitglieder der NSDAP waren. Für die neueingestellten Richter und Staatsanwälte hat die Verlegung des Gerichts demnach keine Rolle gespielt. Die bisher beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwälte waren zum größten Teil auch Parteimitglieder und werden deshalb künftig nicht mehr zugelassen bleiben können.
In einem vertraulichen Schreiben vom 19.6.1947 an die SED-Landtagsfraktion zum Bericht des Rechtausschusses des Landtages, der auf Betreiben der LDP-Landtagsfraktion die Rückverlegung des OLG nach Jena empfahl, schrieb Barth zu den politischen Vorteilen des OLG-Standortes Gera: „Die Beeinflussung der Oberlandesgerichtsräte durch den Umgang mit den Professoren der Universität und den sonstigen wissenschaftlichen Arbeitern in Jena fehlt jetzt. Ein persönlicher Gedankenaustausch zwischen Oberlandesgerichtsräten und anderen Akademikern kann in Gera nur in geringem Umfange bestehen. Das halte ich für einen entscheidenden Vorteil des jetzigen Sitzes in Gera. Und dadurch hat das Oberlandesgericht hoffnungsvoll angefangen, sein besonderes Milieu zu entwickeln. Diese Entwicklung wird zerrissen, die langsam keimende besondere Mentalität des Geraer Oberlandesgerichts wird erstickt. [Wenn das OLG nach Jena rückverlegt würde] […] Ich lehne jedenfalls jede Verantwortung für die Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts der Partei gegenüber ab, wenn mir das, was ich mühsam zu pflanzen unternommen habe und zu hegen mich bemühe, zertrampelt wird. Ich habe als Sozialdemokrat in der Weimarer Zeit fünf lange Jahre mitten unter Richtern gelebt und gearbeitet; ich weiss, was Richterkastengeist bedeutet und bewirkt. Und ich sehe mit Genugtuung, wie er sich bis jetzt hier in Gera nicht hervorgewagt hat.“ (LATh-HStA Weimar, ThL, Nr. 107).
Gera ist verkehrsmäßig von allen Teilen Thüringens genau so bequem wie Jena zu erreichen. Insbesondere gelangen die Süd-Thüringer wie bisher über Saalfeld künftig nach Gera genau so schnell und bequem, wie ehedem nach Jena.
Aus allen diesen Gründen und unter allen diesen Gesichtspunkten ist die Entscheidung über die Verlegung des Oberlandesgerichts sorgfältig erwogen worden und jetzt durchgeführt. Eine etwaige erneute Änderung dieser Maßnahme würde, wie auf der Hand liegt, die größten sachlichen und personellen Schwierigkeiten verursachen.
I.V. gez.
(Dr. Barth)
In Abschrift dem Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten
in G e r a
I.V.
Dr. Barth
(Dr. Barth)
Quelle: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, DP 1, Nr. 6, Bl. 120r-121r (ms. Ausfertigung); Durchschrift in Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Land Thüringen - Büro des Ministerpräsidenten , Nr. 389, Bl. 37r-38r.