NZfM 66 (1.1.1870), S. 8f.: "LASSEN selbst hat, nach unserem Dafürhalten noch nie so sicher und schwungvoll dirigirt, wie bei dieser Gelegenheit, was auch sowohl von seinen Amtsuntergebenen freudigst durch Ueberreichung eines prachtvollen Tactstockes und eines Lorbeerkranzes vor der zweiten Vorstellung als auch von dem begeisterten Publicum, welches dem beliebten Orchesterchef mehrfach stürmische Ovationen entgegenbrachte, constatirt wurde. Kurzum, die 'Meistersinger' gingen, wie Herr v. Loen dem Publicum versprochen hatte, wirklich am 28. Novbr., mit Wiederholungen am 30. Nov. und am 5. Decbr, wahrhaft glanzvoll über die Bretter und werden sicherlich, wie 'Tannhäuser', 'Holländer' und 'Lohengrin', dauernd ihren Platz behaupten."
Neue Berliner Musikzeitung 23 (Nr. 52, 29.12.1869), S. 429f.: "Auch wir sind in Arkadien gewesen — d. h. mit andern Worten in's Neudeutsche transcribirt — wir haben die „Meistersinger" gehabt und zwar am 28. und 30. November, sowie am 5. December in einer wirklich ausgezeichneten Darstellung, die unserer Hofbühne und vor Allen dem trefflichen Chef derselben, Kammerherrn von Loen, welcher mit seltener Energie und ungewöhnlichem Kunstverständniss Alles gethan hat, um das äusserst schwierige und complicirte Kunstwerk mit einheimischen Kräften möglichst würdig darzustellen. Schon glaubten wir, dass es Hrn. v. Loen nicht möglich sein würde, mit ungefähr 40 Proben (davon 6 für's Orchester) die ungeheure Aufgabe, welche wohl noch kein anderer Operncomponist den Executirenden so geboten hat, bis zum 28 November, wie Herr von Loen uns versprochen, genügend zu bewältigen, aber bei diesem vortrefflichen Intendanten heisst es wirklich: „Ein Wort, ein Mann!" Dank sei aber auch allen Ausführenden, an deren Spitze Hofkapellmeister Lassen. Als einen höchst sichern und zuverlässigen Orchesterchef kannten wir ihn schon Iängst, dass er aber aus seiner klassischen Ruhe völlig heraustreten und gehörig in's Zeug treten könne, wussten wir noch nicht. Dass auch das Publikum diese neu entdeckte Eigenschaft zu würdigen wusste, geht daraus hervor, dass unser Lassen bei der ersten und dritten Vorstellung mehrfach stürmisch gerufen wurde. Mag man nun von Wagner's Werken urtheilen, wie man will, mag man selbst viele Bedenken, die Herr Prof. Dorn in d. Bl. ausgesprochen hat, theilen, so muss man dennoch bei unbefangener Beurtheilung von Wagner's Schöpfungen anerkennen, dass seinen Tondichtungen, trotz mancher Schwächen nach Text und Musik, doch noch so Vieles bleibt, was die gerechteste Bewunderung erregen muss. Zu diesen bewundernswerthen Eigenschalten gehört in erster Linie sein stetes, energisches Fortschreiten, sein Suchen und Forschen nach neuen Darstellungsformen. Man betrachte z. B. den „Rienzi", welcher noch vollständig in homophonen Bahnen wandelt, und vergleiche damit die „Meistersinger", in welchen das polyphone Element so meisterlich verkörpert ist, wie noch in keiner anderen Oper. Diese ungemein reiche Motivenwelt, diese meisterhafte Thematik, diese oft wirklich bewundernswerte psychologische Charakteristik mag man W. einmal nachmachen! Freilich hat diese fortwährende, polyphone Illustration des Orchesters in Betreff der Singer, die fast fortwährend gegen mehrere selbstständige Cantilenen ankämpfen müssen, nicht unbedeutende Bedenken. Auch dass dem Hörer das Verständniss derartiger Werke nicht leicht gemacht ist, und dass doch der Erfolg eines Werkes davon mit abhängt, kann nicht in Abrede gestellt werden. So möchte Ref. behaupten, dass das eben durch feine eminente, polyphone Schreibweise sehr interessante Vorspiel nie in dem Grade populär werden kann und werden wird, wie z. B. der Marsch und die Ouvertüre aus „Tannhäuser", Vorspiel und Entr'act zum 3. Aufzuge im „Lohengrin", namentlich wenn dieses verwickelte Tonstück nicht in Verbindung mit der Oper aufgeführt wird. Ein volles Verständniss desselben ist erst überhaupt möglich, wenn man die 16 Hauptmotive in allen Nuancen und Verschlingungen klar erkennt. Zu dem vollständigen, glänzenden Erfolge der betreffenden Tondichtung trug aber auch die volle Hingabe aller Mitwirkenden an das Kunstwerk, die ausgezeichnete Inscenirung und die prachtvolle Ausstattung desselben redlich das Ihre bei. Unser Gesangmeister F. v. Milde verdiente als Hans Sachs sowohl in gesanglicher als auch in rein dramatischer Hinsicht den ersten Preis. Er halte seine schwierige Aufgabe so vollkommen erfasst, dass er mehrfach mitten in der Scene stürmisch applaudirt wurde, abgesehen davon, dass das Publikum ihm, sowie den andern Vertretern der Hauptrollen, jubelnde Ovationen nach jedem Aktschlüsse entgegen brachte. Wie sehr bedauerte man, dass es Frau v. Milde nicht vergönnt war als Eva, welche Rolle für die Individualität dieser ausgezeichneten, jetzt leider pensionirten Künstlerin besonders passte, zu glänzen. Fr. Barnay (Eva) genügte ihrer Rolle zwar nicht vollkommen, aber trotzdem hatte sie ihre Parthie sehr sicher und mit Liebe studirt. Auch der Vertreter des Walther von Stolzing, unser fleissiger und energischer Tenor, Herr Meffert, suchte seiner grossen Parthie möglichst gerecht zu werden, was ihm namentlich im ersten und dritten Akte in anerkennenswerther Weise gelang. Die Mängel seiner Tonbildung traten indess namentlich im 2. Akte hervor, auch liess er in Bezug auf richtige Intonation besonders im Quintett, das überhaupt noch nicht eingesungen, d. h. wie aus einem Gusse ging, zu wünschen übrig. Ohne jegliche Beschränkung müssen wir indess Herrn Knopp als Darsteller des Lehrburschen David loben. Er wusste diese frische Gestalt mit so viel kecker Jugendlust und Humor auszustatten, dass man schon vergessen konnte, wie die Stimme des fleissigen und intelligenten Künstlers nicht mehr so jugendfrisch klang, als man dasselbe von einem Lehrbuben erwarten konnte. Kurzum, der Lehrjunge Knopp's war ein Meisterjunge! Unser verdienter Opernregisseur Herr Schmidt gab den Beckmesser gar ergötzlich; er hatte die Lacher auf seiner Seite, ob er aber nicht manchmal etwas outrirte, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Frau Podolsky genügte als Eva's Amme, Magdalene, vollständig. Nicht soganz gelang es Herrn Hartmann, mit der Pogner-Rolle fertig zu werden und damit namentlich in der 3. Scene des ersten Actes Sensation zu machen. Der Chor leistete sehr Rühmliches, so dass die Vorstellung, gehoben durch die vorzügliche Thätigkeit der Kapelle, die mit Liszt'scher Verve spielte, zwar keine Münchener Mustervorstellung, aber trotzdem eine für Weimar ausserordentlich anerkennenswerthe genannt werden muss."