Die Deutsche Schaubühne, Bd. 10 (1869), Heft 8, S. 117ff.: „Den hervorragendsten Moment im Schauspiel, man darf wohl sagen, ein epochemachendes Ereigniß, bildete das auf die letzten vier Vorstellungen der Saison fallende Gastspiel der jüngsten Celebrität im Bereiche der Tragödie, des Frl. Clara Ziegler vom Hoftheater zu München, die vom 20. Bis zum 26. Juni einen Tag um den andern als Medea, Donna Diana, Iphigenie und Jungfrau von Orleans auftrat. Wie neulich in Wien und Hamburg, errang die jugendliche Künstlerin auch hier einen außergewöhnlichen, nachhaltigen Erfolg. Der bedeutende Ruf, der ihr vorausging, füllte schon bei ihrem ersten Auftreten als Medea, das gleich den folgenden Vorstellungen bei aufgehobenem Abonnement stattfand, das Haus bis auf den Balkon und die Balkonlogen, die angestammten Plätze unserer Gesellschaftselite, die dem hier beliebten Prinzip des „Abwartens“ zufolge, an diesem Abend [...] mäßig besetzt waren. Nachdem jedoch der Gast die Aechtheit seines künstlerischen Rufs mit Medea auf’s Unzweifelhafteste erwiesen, alle noch so hoch gespannten Erwartungen nicht nur befriedigt, sondern sogar selbst übertroffen und unser verhältnißmäßig kühles Publikum zu begeisterten Beifallsstürmen, schon nach dem zweiten Akt zu dreimaligem Hervorruf hingerissen, war der Andrang zu den übrigen Vorstellungen so massenhaft, daß auch auf jenen Eliteplätzen Kopf an Kopf sich reihte und gleichwohl eine Menge von Billetbestellungen unbefriedigt bleiben mußte. Unsre Intendanz, die gern billigen Wünschen des Publikums entgegenkommt, sah sich daher veranlaßt, das ursprünglich nur auf drei Vorstellungen, der „Medea“, „Donna Diana“ und „Iphigenie“ festgesetzte Gastspiel noch um eine vierte, die der „Jungfrau von Orleans“, zu erweitern und so den bereits mit der Festvorstellung („Iphigenie“) am 24. Juni als dem Geburtstage des Großherzogs [Carl Alexander] angekündigten Schluß der Saison noch um zwei Tage hinauszuschieben; ein Zugeständniß, das sich den wärmsten Dank aller Theaterfreunde verdiente. Während der Festvorstellung der „Iphigenie“, deren officieller Charakter einem alten schönen Brauch gemäß, nach welchem das ganze Haus den gefeierten Landesfürsten beim Eintritt in die großherzogliche Hauptloge und dann wieder nach dem Schluß der Vorstellung unter dreimaligem Orchestertusch mit Erhebung von den Sitzen und einstimmigem Applaus begrüßt, jede öffentliche Beifallsbezeigung gegen die Künstlerin von vornherein ausschloß, wurde dieselbe für diese Entbehrung von Sr. Kgl. Hoheit dem Großherzog in sinniger Weise durch ein prachtvolles, die Sachsen-Weimarische goldene Verdienstmedaille für Kunst und Wissenschaft einfassendes Armband entschädigt, das ihr der hohe Kunstmäcen als huldvolles Zeichen seiner Anerkennung im letzten Zwischenakt überreichen ließ. […] Was Frl. Ziegler hier wie überall, wo sie seither auftrat, so überaus glänzende Erfolge erringen ließ, sind zunächst die ihr von der Natur verschwenderisch zugemessenen äußeren Mittel, die imponirende hohe junonische Gestalt, der frei und stolz auf schlankem Halse sich erhebende edle, ausdrucksvolle Kopf, die Macht- und Prachtfülle des ungewöhnlich umfangreichen, vom weichsten Flötenschmelz sanfter Bitte bis zum rollenden Donner wilder Empörung gleichmäßig schönen Organs, sowie die bereits zu einer hohen Stufe künstlerischer Vollendung vorgeschrittene ebenmäßige und nie die Grenzen der Schönheit überschreitende Verwendung dieser Mittel zur wirkungsvollsten Deklamation, Mimik und Plastik. Mit diesem entschieden auf die Darstellung tragischer Heroinen angewiesenen Material arbeitet eine geniale dramatische Auffassungs- und Gestaltungskraft in jenem einfach großen, erhabenen und idealen Styl, der in der Tragödie der einzig berechtigte ist und allein jene begeisternden, die Seele des Zuschauers wie auf Adlerschwingen aus dem Staube der Alltäglichkeit in die Regionen einer höheren Welt emportragenden Wirkungen hervorzubringen vermag, wie sie in den Intentionen unserer großen Dramatiker liegen. Je mehr dieser ideale Styl unserer heutigen, immer tiefer im nüchternen Realismus versinkenden Schauspielkunst, die fast auf keiner Bühne mehr ein ideal gehaltenes Trauerspiel oder höheres Drama in dessen ureigenem Geiste darszustellen weiß, abhanden gekommen, desto gewaltiger muß eine so seltene ideale künstlerische Erscheinung die Herzen ergreifen und unwiderstehlich mit sich fortreißen, die wie Clara Ziegler eine „Medea“, eine „Iphigenie“, eine „Johanna d’Arc“ nicht in kleinlich realistischen, mosaikartig zusammengetragenen Detailzügen, sondern aus dem Großen, Ganzen und Vollen heraus, begeistert und begeisternd wiedergiebt. […] Seitens der mitwirkenden hiesigen Bühnenkräfte fand der Gast in den drei ersten Vorstellungen größtentheils eine anerkennenswerthe Unterstützung […]. An gelungenen Leistungen haben wir die des Herrn Barnay als […] „Orest“ […] [und] des Hrn. Lehfeld als „König Thoas“ […] hervorzuheben.“